Kleinstunternehmen als Herzensangelegenheit:
Johanna Reinhart in ihrer Ein-Frau Rösterei.
(Erschienen im HSG Focus 2/2013 – Universität St.Gallen)
Johanna Reinhart röstet fair gehandelte Kaffeebohnen. Geniesser kennen und lieben ihr Produkt. Die Lebensmittelingenieurin könnte ihre kleine Keller-Rösterei ausbauen. Wenn da nicht ihre Devise wäre: «Klein, aber fein». Wie ein Geschäft auch ohne Wachstumsbestrebungen gedeiht.
Aus dem Keller der Winterthurer Seidenstrasse Nummer 39 rumpelt es dezent. Eine Brise Kaffeeduft weht aus dem Fenster des weiss getünchten Gründerzeithauses. Noch aromatischer riecht es, als Johanna Reinhart die grüne Kellertüre öffnet. Die Dame des Hauses bittet freundlich herein. Sie trägt einen roten Pullover und graue Hosen – warme Kleidung macht sich gut an ihrem frösteligen Arbeitsort im Souterrain. Zum Reden haben wir später noch Zeit, jetzt wird erst einmal geröstet.
An diesem Morgen sind frische Arabica-Bohnen aus Äthiopien an der Reihe. Rund eineinhalb Tonnen Röstkaffee produziert Reinhart im Jahr. Das sind 25 Kaffeesäcke à 60 Kilo. Jeden Sack schleppt sie mit Hilfe ihres Mannes und der Söhne um die verwinkelte Kellertreppe in die Hausrösterei. Nachschub besorgt sie mit dem Auto am Kontor in Basel. «Kaffee ist ein Frischprodukt wie Milch oder Käse», erklärt Reinhart, während sie die Temperatur des Trommelrösters prüft. Sie verarbeite ihre Ware darum immer so rasch wie möglich.
Kaffeeduft im Keller
Mit einem Messbecher schöpft Reinhart Sidamo-Bohnen aus einem braunen Jutesack. Ein Kilo füllt sie nach und nach in den Trichter des dunkelgrünen Trommel-Rösters. Ein Prototyp des Maschinenherstellers «Probat». Das Unternehmen Probat hat Johanna Reinharts Familie in Emmerich am Rhein aufgebaut. Rund 600 Mitarbeitende zählt der Betrieb heute. Den ersten Probat-Röster entwickelte Theodor Reinhardt von Gimborn im Jahr 1868. Seine Ur-Enkelin, Johanna Reinhart, hat sich für eine kleine Hausrösterei entschieden.
Die Flamme im Röster züngelt, es duftet, nach einer Weile hört man ein leises Knacken. Ähnlich wie beim Popcorn-Backen. Kaffeeröster nennen das Geräusch «First Crack». Wasserdampf entweicht, das Silberhäutchen der Kaffeebohne platzt ab. «Der Zucker in der Bohne reagiert mit den Eiweissen, so entstehen Aromen und Farbstoffe», erklärt Reinhart. Die Augen der Lebensmittelingenieurin leuchten, sie ist in ihrem Element.
Die Bohnen werden diesmal dunkel geröstet. Die Vorliebe einer Kundin, die handgebrühten Filterkaffee trinkt. Klingt altmodisch, ist laut Berichten des Bayerischen Rundfunks aber trendverdächtig. Schluss mit dem Espresso aus der Kapsel, zurück zum Melitta-Mann? «Gut möglich», lacht die Kaffeerösterin. «In jedem Fall lieben die Leute guten Kaffee. Ich komme kaum nach mit der Produktion.» Wenn sie verreise, müsse sie lange Zeit vorproduzieren, um ihre rund 70 Stammkunden – Privatpersonen und Kleinbetriebe – mit frischen Bohnen zu versorgen.
Plakatdesign aus der Nachbarschaft
Wenige Minuten nach dem Aufplatzen des Silberhäutchens prasselt das erste Kilo duftender Bohnen in die Auffangschale des Rösters. Ein kleiner Teil wird gemahlen und in eine Schale gepresst. Ein spezielles Gerät misst den Farbwert. Handnotiz mit Bleistift in das Logbuch. Reinhart führt Buch über jeden Röstvorgang. So kann sie nachvollziehen, wie sich die Nuancen ihres Produktes entwickeln.
Mit geschickten Handgriffen füllt sie die gerösteten Bohnen nach einer kurzen Abkühlphase in Ventil-Packungen. Auf jede kommt das orangerote Logo mit der Aufschrift «Reinhart Caffee». Ein Nachbarsmädchen hat das Muster gestaltet. Das Original-Plakat hängt an der Wand neben bunt zusammengewürfelten Kaffeemühlen. Jedes Logo schneidet die Unternehmerin selbst noch fein zurecht. Ein rascher Griff zum Bügeleisen. Damit wird das Päckli verschlossen. «Viel günstiger als eine Maschine zum Verschweissen», sagt Reinhart. Verschwendung ist ein Fremdwort in dem Ein-Frau-Betrieb. Auch die Ventil-Packungen verwendet sie nach Gebrauch wieder.
Sinne schärfen beim Kaffeegenuss
Nun beginnt der ganze Vorgang wieder von vorn: Bohnen schöpfen, ab in den Röster, klack, das Silberhäutchen platzt…dieses Aroma! «Lust auf eine Tasse Kaffee?» Aber sicher. Reinhart wirft einen prüfenden Blick auf den ratternden Röster und verschwindet im oberen Stockwerk. Kurze Zeit später kommt sie mit frisch gebrühtem Filterkaffee und Espresso in die Werkstätte. Eine Geschmacksexplosion im Mund! Das koffeinhaltige Heissgetränk belebt. «Gut so? Welche Aromen schmecken Sie denn heraus?», fragt sie neugierig. Sensorik, ein Fachgebiet für sich. Reinhart hat Spass daran.
Sie führt Kaffeeliebhaber, die ihren Röstkeller besuchen, gerne in die Sinnesphysiologie ein. Fein ausgebildete Sinne sind hier gefragt. «Nase und Zunge wollen auch dazulernen, wenn sie sich dauernd mit Kaffee befassen müssen», sagt Reinhart schmunzelnd.
Wegen Wissensdurst in die Schweiz
Nach der Matura studierte Reinhart Lebensmittelingenieurwesen an der ETH Zürich – als eine von nur fünf Frauen in ihrem Jahrgang. Das Berufsleben begann bei einem Schaffhauser Hersteller für Verpackungsmaschinen. Verfahrenstechnische Prozesse begeisterten die junge Frau. Sie richtete Labore ein, lernte viel über die Entwicklung neuer Maschinen. Später wirkte sie als Verwaltungsrätin bei Probat. Auf eine operative Karriere in dem Unternehmen verzichtete sie bewusst. Mit ihrem Liebsten lebte sie in Winterthur, sie hatte Wurzeln geschlagen in der Schweiz. «Nach der Familienzeit wollte ich lieber selbst etwas in der Schweiz aufbauen», sagt Reinhart. Solide, klein und fein sollte ihr Betrieb sein.
Ingeneurin der Sinne
Eine Weiterbildung an der Universität St.Gallen, der Kurs «Women back to business», gab ihr neue Impulse für das Vorhaben. 2008 wurde der Kurs zum ersten Mal durchgeführt. Nach dem Ingenieursstudium an der ETH also auch noch Test-Kaninchen an der HSG? «Ich bin gerne Pionierin», meint Reinhart. Während der Familienzeit engagierte sie sich bei verschiedenen Institutionen, so zum Beispiel als Schulpflegerin. Der Kurs «Women back to business» führte Reinhart eher «back to the roots»: Mit der Rösterei holte sie 2009 das Aroma aus Kindertagen zurück in ihr Leben. Die Berufung der Ingenieurin: Präzises Arbeiten mit Maschinen. Für Menschen, die mit allen Sinnen zu geniessen wissen.
Bürogemeinschaften und Kaffeeliebhaber reissen sich um ihre Ware. Aber Johanna Reinhart will aus ihrem Betrieb kein «Geschäft» machen. Sie bringt die Kaffeepakete lieber persönlich mit dem Velo zu ihren Kunden. Anstatt das Lager aufzustocken, achtet sie auf Qualität und Frische. Geld verdient sie mit der Rösterei nicht. Sie könnte, wenn sie wollte. Dazu bräuchte sie mehr Maschinen und Mitarbeitende, die den Laden mit ihr schmeissen. «Gut zu wissen, dass es diese Perspektive gibt – dennoch, eine Vergrösserung steht für mich gerade nicht zur Debatte», sagt Reinhart.
Als Ein-Frau-Betrieb kann sie nicht mehr als 1,5 Tonnen Bohnen pro Jahr rösten. «Ich habe viele Projekte im Leben. Ich will nicht nur noch am Trommelröster stehen», erklärt sie bestimmt. Zu den Projekten zählen Familie, soziales Engagement, Bienenzucht und Garten. Und wenn es die Zeit erlaubt, geht sie gerne auf Reisen.
Gartenkaffee aus Äthiopien
Kürzlich hat Reinhart das Ursprungsland des Kaffeeanbaus besucht: Äthiopien. Sie zeigt Bilder aus dem Regenwald bei Kaffa im Westen des Landes. 98 Prozent des äthiopischen Kaffees kultivieren Kleinbauern. Die Gärten der Dorfbewohner sind meist nicht grösser als ein Hektar. Die intensive Pflege merkt man den Bohnen an: Sie schmecken besser als Gewächse von der Grossplantage. Auch Reinhart röstet zu Hause viel sanfter und langsamer als Grossröster. «So bleibt der lebendige Charakter des Produkts erhalten.» Sie berichtet von ihren Eindrücken des Dorflebens, der Kultur des Landes und feierlichen Kaffeezeremonien.
Fairer Handel und Geschmack sind ausschlaggebend für ihre Produktauswahl. Weitere Bohnen der Sorte Arabica bestellt sie bei einem Rohkaffee-Händler aus der brasilianischen Region Minas Gerais und einer Finca in Guatemala. Gerne würde sie ein Kulturkaffee aufziehen, ein Ort, an dem Röstduft und Kaffeegenuss neue Ideen anregen. Ähnlich wie im St.Galler Kaffeehaus. Vielleicht ein Projekt für die Zukunft. Vorerst bleibt es aber bei der Devise von Reinharts Kleinbetrieb ohne Wachstumsbestrebungen: «Fair, klein, fein».
Annkathrin Heidenreich
(Bilder: Hannes Thalmann)